Die Chaosschwestern Dagmar H. Mueller

Interview

Die Profis von der Presse wissen natürlich, wie man ein Interview macht. Aber unseres ist auch nicht schlecht – will sagen: es ist sogar WELLENBRECHERMÄSSIG GUT! Und das findet ihr hier.

Schließlich bin ich ja selbst ein Mädchen

Dagmar H. Mueller im Interview (Juli 2012)

Dagmar H. Mueller

© Dagmar H. Mueller

Liebe Dagmar H. Mueller, erzählen Sie mal etwas über sich! Wer ist die Person hinter den „Chaosschwestern“? Und wie sind Sie dazu gekommen, Schriftstellerin zu werden?

Ich wollte eigentlich immer Bücher schreiben, schon in der Grundschule. Je älter ich wurde, desto vernünftiger wurde ich aber – leider! Meine Mutter machte mir klar, dass man mit dem Bücherschreiben kein Geld verdienen kann. Deswegen habe ich dann auch brav studiert, um Deutsch- und Sportlehrerin zu werden. Aber das war dann doch nicht mein Traumberuf. Ich habe trotzdem 10 Jahre lang unterrichtet, aber nicht an einer staatlichen Schule, sondern hauptsächlich im Freizeitbereich.

Auch als Skilehrerin, oder?

Ja, das habe ich jeden Winter während meines Studiums gemacht, das war wahnsinnig toll! Nach etwa 10 Jahren habe ich aber entschieden, dass ich mal was anderes als Unterrichten probieren wollte. Also habe ich zwei Jahre lang als Grafikerin gearbeitet. Aber das war auch nicht das Richtige. Außerdem hatte ich das ja gar nicht richtig gelernt. Deshalb dachte ich: Jetzt muss ich mir mal irgendetwas wirklich Gutes einfallen lassen!

Als mein Sohn geboren wurde und ich deswegen viel zuhause war, stand für mich fest: Jetzt probiere ich es endlich mit dem Bücherschreiben! Und das hat dann auch wirklich geklappt.

Und warum haben Sie sich dann entschieden, Kinderbuchautorin zu werden?

Ich glaube, das lag an meinem Sohn. Kinder, die waren zu dem Zeitpunkt, als mein Sohn Aaron noch kleiner war, einfach meine Welt! Meine ersten Bücher waren dann auch Jungs-Bücher, weil ich sie vor allem für meinen Sohn geschrieben habe. Aber irgendwann entdeckte ich, dass das Kinderbuch-Schreiben einfach insgesamt Spaß macht! Und dann habe ich angefangen, für Kinder allgemein – d.h. auch für Mädchen – zu schreiben. Das funktioniert ebenfalls klasse – schließlich bin ich ja selbst ein Mädchen!

Hat Ihr Sohn Ihre Bücher dann auch weitergelesen – nachdem sie nicht mehr nur für ihn geschrieben wurden?

Mein Sohn hat ganz brav alle meine Bücher gelesen – bis vor zwei Jahren. Da wurde es ihm einfach zu viel: Er wurde mit 17 Jahren schlichtweg zu alt dafür. Aber wenn ich mal wirklich nicht zufrieden bin mit einer Stelle oder Szene, dann muss er ran! Dann fessele und knebele ich ihn einfach und befehle ihm: „Das musst du jetzt lesen!“ Er ist dann auch ganz ehrlich und kann schon mal sagen: „Also an der Stelle, das geht ja gar nicht!“ Oder: „Du, jetzt komm mal endlich zum Punkt! Dreißig Seiten und noch nichts ist passiert.“ Der ist da ganz direkt. Und hilft mir sehr!

Wie schreiben Sie Ihre Bücher – nach Plan oder nach Gefühl?

Also, ich bin bei Verlagen bekannt als die weltschlechteste Exposé-Schreiberin, ich plane Bücher nur sehr ungern. Ich finde es einfach langweilig, immer vorher ganz genau festzulegen, was wann passieren wird! Witzig und spritzig schreibe ich nur, wenn ich nicht mehr als eine grobe Idee oder einen groben Anfang habe. Das ist vor allem bei den „Chaosschwestern“ so. Livi, Malea, Tessa, Kenny und die anderen Figuren sind einfach so starke und echte Charaktere, dass ich sie spontan selbst reden lassen kann.

Natürlich schreibt jeder Schriftsteller seine Bücher anders. Aber für mich ist das wie beim Stricken eines Pullis: Am Anfang beginnt man mit einem schönen Muster. Aber irgendwann wird das langweilig und man kriegt plötzlich Lust auf ein ganz verrücktes anderes Muster. Das ist zwar chaotisch, aber das passt ja auch zu den „Chaosschwestern“.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen Ihnen und der Iris Martini, Mutter der „Chaosschwestern“ und auch Schriftstellerin?

(Lacht.) Da gibt es keinerlei Anlehnungen, auch in Bezug auf Cornelius und meinen Mann nicht. Na ja, mir wächst zwar auch manchmal der Haushalt über den Kopf, wenn ich schreibe, und mein Sohn reicht manchmal für vier. (grinst) Aber ich weise da alles von mir!

Apropos „Die Chaosschwestern“: Mich erinnern diese herrlich komischen Bände wegen ihres Humors ein wenig an Christine Nöstlinger. Welche Autoren sind denn Ihre großen Vorbilder?

Ich finde Christine Nöstlinger auch gut, aber ich habe gar nicht so viel von ihr gelesen. Ich bin eher mit Astrid Lindgren aufgewachsen. Die ist für mich das Größte. Wobei die ja überhaupt nichts mit dem Slapstick-Humor der „Chaosschwestern“ zu tun hat. Also ich denke immer, dass ich ganz doll beeinflusst bin von diesen lustigen amerikanischen Fernsehserien. Ich sage auch oft: Die „Chaosschwestern“, die sind eigentlich eine Sitcom, also wie eine dieser Fernsehserien. Und ich glaube, diese Mischung, die ich im Kopf habe – so ein bisschen Astrid Lindgren, das heißt immer wieder ein bisschen „weichere“ Szenen , plus so ein bisschen sitcomartige Witze – das ist die Mischung, die die „Chaosschwestern“ funktionieren lässt.

Bei den Martinis ist immer was los und ständig ist Chaos! Waren Ihre eigene Familie oder andere Familien, die Sie kennen, ein Vorbild für die verrückten Martinis?

Ich würde sagen, die Martini-Familie ist eine Mischung aus meiner eigenen und einer befreundeten Familie. Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der fast alle zuhause gearbeitet haben.

Mein Großvater war Zahnarzt in einem winzigen Dorf im Sauerland (das heißt Wennemen) und wir haben mit drei Generationen alle zusammen in dem Haus gewohnt, in dem auch seine Praxis war. Da ging alles – auf eine sehr nette Art und Weise - durcheinander. Wir hatten eine riesige Wohnküche, in der auch ein Klavier stand, auf dem meine Großmutter beim Kochen ab und zu spielte. Im Garten waren Hühner (allerdings kam keines aus einem „Hühnergefängnis“), die auch gerne mal durchs Haus flatterten. Und wenn Patienten lange warten mussten, setzten die sich oft zu uns an den Küchentisch und tranken einen Kaffee. Das heißt, es war immer viel los – wie bei den „Chaosschwestern“ eben.

Aber den verrückten Vier-Mädels-Haushalt, den habe ich mir aus einer Familie in Hamburg abgeschaut. Ihnen habe ich dann auch das erste „Chaosschwestern“-Buch gewidmet. In dieser echten Familie gibt es übrigens eine Oma „Ruth“, die „Ruma“ genannt wird: mein Vorbild für die „Renate-Oma“. Und diese Ruma ist genauso herzensgut und positiv und politisch engagiert – wie die coole „Rema“ eben!

Die vier „Chaosschwestern“ sind vollkommen unterschiedlich: Da gibt es zum einen die 11-jährige Malea, die Weltbürgerin, die 7-jährige Kenny (die Kleinste), die 13-jährige Livi – die eifrige Umwelt- und Tierschützerin – und die 15-jährige Tessa, die sich am liebsten mit Make-up und Jungs beschäftigt. Welche der Mädels ist Ihre Lieblingsfigur und warum?

Oh je, das ist ganz schwierig! Die Frage stelle ich eigentlich immer allen meinen Leserinnen. Wenn mich Mädchen per E-Mail anschreiben, dann frage ich immer zurück, wer denn eigentlich ihre Lieblingsfigur ist. Aber als Autor mag man natürlich alle seine Figuren gerne, besonders wenn man in der ersten Person schreibt und sozusagen „in der ersten Reihe“ mit dabei ist.

Livi mochte ich schon von Anfang an besonders, weil sie an ein Mädchen angelehnt ist, das ich sehr lieb habe.

Ich habe allerdings auch Tessa gerne, obwohl die – oberflächlich gesehen - so oberflächlich ist! Aber die ist im Grunde ihres Herzens ja auch total lieb und steht auf ihre sehr eigene Art zu ihrer ganzen Oberflächlichkeit, was ich sympathisch finde. Und natürlich ist die ja nicht nur doof oberflächlich, sondern bekommt immer noch am Ende die Kurve. Aber was ich am meisten an Tessa mag, ist, dass ich so herrlich über sie und ihre ganz eigene Vorstellung von der Welt lachen kann!

Und – ach – Malea und Kenny, die mag ich natürlich auch echt gern! Sonst hätten sie gar nicht angefangen zu leben. Ich glaube, alle vier Chaosmädels repräsentieren ein paar meiner eigenen Eigenschaften oder meiner eigenen Wünsche oder die Eigenschaften oder Wünsche von mir sehr nahestehenden Menschen.

Wer ist denn die Lieblingsfigur Ihrer Leserinnen?

Die absolute Lieblingsfigur meiner Leser ist Livi, das hat mich auch überrascht. Es gab auch schon mindestens sieben Mädchen, die mich gefragt haben: „Wenn es einen Film gibt, kann ich mich für die Livi bewerben?“ Und ich meinte darauf: „Okay, vorgemerkt!“ Livi ist ganz hoch im Kurs, auch wenn sie selbst nicht ganz so witzig ist: 9 von 10 finden tatsächlich sie am besten.

Die „Chaosschwestern“ sind Heldinnen, die die Kinder beim Lesen sofort ins Herz schließen. Was ist das Besondere an ihnen und was macht sie zu so guten Identifikationsfiguren?

Ich glaube, das Besondere an ihnen ist, dass sie so liebenswert sind. Man könnte bestimmt 30 Bücher über sie schreiben. Dass aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt wird, das ist auch etwas Spezielles bei den „Chaosschwestern“. Ich glaube, das gab’s vorher einfach so noch nicht.

Bei den „Chaosschwestern“ werden viele traditionelle Ansichten über Familie und Erwachsensein hinterfragt – was mir auch sehr gut gefallen hat! Da gibt es die unkonventionellen Eltern, Cornelius und Iris, die oft genauso planlos und chaotisch sind wie ihre Kinder. Oder die Renate-Oma, die sich noch in hohem Alter verliebt. Haben Sie sich bewusst dazu entschlossen, bestimmte Vorstellungen auf den Kopf zu stellen?

Ja, unbedingt! Danke für diese Frage! Das ist mir tatsächlich sehr wichtig. Ich will natürlich nicht missionarisch tätig sein, aber ich will den Lesern zeigen: Leute, ist das nicht prima, dass es so viele unterschiedlichen Familien und Strukturen, bzw. Lebensmuster gibt? Ganz sicher ist es kein Fehler, auch im Kinderbuch für mehr Toleranz im Umgang miteinander zu werben. Genau das macht ja die Chaosschwestern aus. Alle Charaktere in den Büchern lernen jeden Tag aufs Neue, sich gegenseitig zu akzeptieren und zu unterstützen – so unterschiedlich sie auch sein mögen. Und anscheinend ist das gar nicht so langweilig, wie es klingt. (Grinst)

Aber ich mache da ja nichts wirklich Neues, das ist ja Zeitgeist! Nur so geballt, wie im Martini-Haushalt, kommt es wahrscheinlich selten zusammen. Gerade auch was die ältere Generation angeht, will ich keine steinzeitartigen Klischees von strickenden Omis oder pfeiferauchenden Opis rüberbringen, sondern so lebensfrohe und aktive Menschen in jeder Beziehung zeigen, wie z.B. die „Rema“ und Walter Walbohm. Gleichzeitig will ich nicht nur eine heile Welt zeichnen, sondern durchaus auch klitzekleine Denkanstöße geben, die ich gerne in einer komischen Story verstecke. Ob das nun politische Themen, wie Tierschutz, sind, oder aber sozialkritische. Eine Mutter, die sich mehr für Partys und ihre Karriere interessiert als für ihren Sohn, oder ein Junge, der in der Schule gemobbt wird und außerdem einen alkoholkranken Vater hat, die kommen nicht unbedingt in jedem lustigen Mädchenbuch ab 10 vor. Aber leider im wirklichen Leben durchaus.

Die Liebe spielt ja bei den Martini-Schwestern eine große Rolle, vor allem im neuesten Band, „Die Chaosschwestern voll im Einsatz!“, in dem nur Malea nicht mitten im Liebeschaos steckt. Warum ist das Thema „Liebe“ insgesamt so wichtig bei den „Chaosschwestern“?

Tjaaa, wie soll ich sagen? Das hat sich irgendwie einfach so entwickelt! Nach dem ersten Buch hatte ich einige Zuschriften, die fanden: Endlich mal ein Mädchenbuch für 10-14-jährige, in dem es nicht nur ständig um Liebe geht! Bei Tessa war natürlich von Anfang an klar, dass sie immer einen schicken Jungen an der Hand haben muss. Und bei Kenny war das einfach niedlich, wenn die in der Grundschule Händchen halten darf. Und der Rest passierte dann einfach irgendwie automatisch, bis ich schließlich – spätestens nach Band 4 - dachte: Boah, das ist jetzt aber ein bisschen viel „Liebesgrütze“! Jetzt muss schleunigst wieder etwas anderes passieren. Und das wird es – falls ich das schon verraten darf!

Gibt es eigentlich auch Jungs, die ihre Bücher lesen?

Also gemailt hat mir noch kein Junge. Aber ich habe von Freunden immer wieder gehört, dass auch Jungs die „Chaosschwestern“-Bände ihrer Schwestern lesen. Das ist doch sehr erfreulich!

Ich habe aus Ihren Antworten herausgehört, dass Sie sehr gerne Kontakt mit den Lesern per E-Mail haben! Wie alt sind die Leser, die Ihnen schreiben?

Ja, über meine eigene Webseite(www.dagmar-h-mueller.de), und jetzt ja auch über diese tolle neue Chaosschwestern-Webseite hier, haben meine Fans Zugang zu meiner E-Mailadresse und natürlich freue ich mich immer wahnsinnig über die vielen Mails, denn das ist bisher mein einziger Kontakt mit meinen Lesern. Nur so sehe ich, wie meine Bücher ankommen. Das Alter der Mädchen, die mir schreiben, liegt hauptsächlich zwischen 11 und 14 Jahren. Das zeigt mir, dass die Altersspanne meiner Leser ganz ähnlich zu dem Alter der drei älteren „Chaosschwestern“ ist.

Zum Schluss würde ich gerne wissen, ob sich denn Ihre Fans auch auf einen fünften oder sechsten Band freuen dürfen? Geht es weiter für die Martinitöchter? Und ist es für Sie vorstellbar, dass die Schwestern im Verlauf der Reihe älter werden und mit den Lesern mitwachsen?

Nein, es ist keine Hanni und Nanni-Geschichte, wo die Schwestern immer älter und älter werden! Alles, was in den Geschichten passiert, findet innerhalb eines Jahres statt. Der erste Band beginnt im September und der letzte endet im.... (grinst), mal sehen!

Denn, ja, auf jeden Fall wird es neue „Chaosschwestern“-Bände geben! Ich hoffe, noch ganz viele! Und falls irgendwelche Leserinnen Ideen für die nächsten Abenteuer der Mädchen haben: Immer her damit! Wie gesagt, ich freu mich sehr über E-Mails!

Liebe Dagmar H. Mueller, ich bedanke mich für dieses tolle Interview mit Ihnen.

Danke für die tollen Fragen! Mir hat es auch riesig Spaß gemacht!

Das Interview wurde geführt von
Carola Bauer (Presse cbj)